Unsere Forschung beschäftigt sich mit der theorie-geleiteten Modellierung von grundlegenden neurobiologischen Mechanismen der Handlungssteuerung inklusive ihrer Störungen. Unser Ziel ist es mittels modell-basierter, translationaler Ansätze Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in innovative, klinische Therapieverfahren zu überführen. Dabei forschen wir an Vorhersagemodellen, um Personen die erfolgversprechendste Therapie anhand von individuellen Faktoren, wie der funktionellen Architektur ihres Gehirns, zu empfehlen. Somit wollen wir die klinische Entscheidungsfindung in Zukunft deutlich verbessern.
Um zielgerichtetes Verhalten in allen Einzelheiten zu verstehen, nutzt unsere Arbeitsgruppe funktionelle Bildgebung in Kombination mit hochauflösenden verhaltensbasierten, physiologischen und psychologischen Untersuchungsmethoden. Wir entwickeln statistische und mathematische Modelle, die verschiedenste Datenebenen und -quellen theorie-geleitet und theorie-bildend verbinden. Auf dieser Basis versuchen wir zentrale Mechanismen der Verhaltenssteuerung zu entschlüsseln.

Ein Schwerpunkt unserer Arbeit liegt in der Interaktion zwischen körpereigenen Signalen und der gezielten Verhaltenssteuerung im Gehirn. So untersuchen wir den Einfluss verschiedener homöostatischer Stressoren auf das Belohnungsverhalten und das Lernen mit einer störungsübergreifenden, dimensionalen Perspektive. Eine wichtige Rolle spielt hierbei der Vagusnerv, den wir akut über eine nicht-invasive Stimulation aktivieren können, um das Verhalten gezielt zu beeinflussen – ähnlich wie es durch körpereigene Signale gelingt.
Störungen in diesem System werden mit einer Reihe von psychischen Erkrankungen wie Depression, Essstörungen, aber auch metabolischen Erkrankungen in Verbindung gebracht. Des Weiteren ist der Vagusnerv zentral an der Antwort des Körpers auf Stress beteiligt und seine Funktion beeinflusst die Stimmung. In mehreren bahnbrechenden Veröffentlichungen konnten wir das große klinische Potenzial der Verbindung von modell-basierten Ansätzen mit Methoden der Neuromodulation in den letzten Jahren darstellen.
Forschungslinien zu neurobiologischen Mechanismen
Störungen der Motivation und der Belohnungsverarbeitung sind ein zentrales Merkmal verschiedenster psychischer Störungen. Da diese Veränderungen häufig mit Veränderungen im Energiestoffwechsel und im Affekt einhergehen, ergeben sich aus diesen Mechanismen möglicherweise neuartige Möglichkeiten für die akute Behandlung von Symptomen. Manche diese Symptome sprechen sonst nur ungenügend oder verzögert auf konventionelle Verfahren der Behandlung an. Um dieses übergeordnete, translationale Ziel zu erreichen, definieren wir drei inhaltliche Domänen, die als Schwerpunkte unsere wissenschaftliche Arbeit anleiten (siehe Forschungsprojekte).
Energiestoffwechsel & Interozeption
Die erste Forschungsdomäne beschäftigt sich mit dem Energiestoffwechsel und der Wahrnehmung von körpereigenen Signalen. Der metabolische Zustand des Körpers spielt eine wichtige Rolle bei der Steuerung des zielgerichteten Verhaltens, da ein fundamentales Motiv die langfristige Sicherung der energetischen Homöostase ist. Störungen im Energiestoffwechsel und der Wahrnehmung körpereigener Signale treten nicht nur bei metabolischen Störungen auf, sondern prägen auch zahlreiche psychische Störungen wie Depressionen und Essstörungen.
Ein Schwerpunkt unserer Arbeit liegt an der Schnittstelle zwischen dem Verdauungstrakt und dem Gehirn und beinhaltet die wechselseitige Signalübertragung über die Hormonausschüttung und den Vagusnerv. Hier können wir auf eine langjährig etablierte Expertise zur Kopplung von Homöostase und Belohnungsverarbeitung zurückgreifen, die in aktuell geförderten DFG-Projekten aufgeht. Unser Ziel ist es über das bessere Verständnis der Stoffwechselprozesse im Rahmen von psychischen Erkrankungen innovative Therapiemöglichkeiten, z.B. über die Magen-Hirn-Achse, zu erschließen. Gleichzeitig möchten wir damit zu einem ganzheitlichen Verständnis der Ätiologie beitragen.

Neuromodulation
Die zweite Forschungsdomäne beschäftigt sich mit nicht-invasiven Verfahren zur gezielten Veränderung der Funktion des Gehirns. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf pharmakologischen Interventionen und nicht-invasiver Vagusnerv-Stimulation, die die Motivation und den Stoffwechsel beeinflussen können. Des Weiteren profitieren wir von der Expertise der Sektion für Medizinische Psychologie im Bereich rTMS und können somit unterschiedliche Modulationsmethoden kombinieren und vergleichen.
Besondere inhaltliche Schwerpunkte liegen in der Kombination der Domäne Neuromodulation mit anderen Forschungslinien. So sind wir im Humanbereich bereits eine der international führenden Gruppen im Bereich der transkutanen Vagusnerv-Stimulation zur akuten Verbesserung einer motivationalen Symptomatik über veränderte Stoffwechselprozesse und die Kommunikation mit dem Verdauungstrakt. Des Weiteren hilft uns unsere Expertise im Bereich Computational Psychiatry bei der Weiterentwicklung von Neuromodulation in Richtung personalisierter Medizin, wo wir erste wichtige Ergebnisse zur individuellen Vorhersage von akuten Verhaltenseffekten der Stimulation über induzierte Veränderungen im Gehirn erzielen konnten. Dementsprechend ist es unser erklärtes Ziel, über eine Kombination komplementärer Domänen das große therapeutische Potenzial von Neuromodulationsmethoden bestmöglich für die Behandlung motivationaler Störungen erschließen zu können.

Unsere Versuchsleiterin Monja Neuser platziert die Ohrelektrode für die nicht-invasive Stimulation des Vagusnervs.
Computational Psychiatry & Bildgebung
Die dritte Forschungsdomäne beschäftigt sich mit der statistischen und mathematischen Modellierung von Verhaltens- und Bildgebungsdaten. Computational Psychiatry ist ein vergleichsweise junges Forschungsfeld, welches grob in theorie-geleitete und daten-getriebene Methoden unterteilt werden kann. Theorie-geleitete Methoden in unserer Arbeitsgruppe umfassen z.B. reinforcement learning, hierarchische (Bayesianische) statistische Modelle und Simulationen von Zeitreihen und deren Interaktionen. Daten-getriebene Methoden umfassen z.B. maschinelles Lernen, embedding (t-SNE, UMAP) und hierarchisches Clustern.
Unser Ziel ist es beide Strömungen erfolgreich zu integrieren, um klinisch relevante Fragestellungen mittels quantitativer Verfahren besser beantworten zu können. Das Methodenspektrum umfasst model-based neuroimaging, wo individuelle Entscheidungsparameter verwendet werden, um bspw. wertbezogene Berechnungen im Gehirn mechanistisch zu untersuchen. Des Weiteren umfasst es methodische Innovationen zur Biomarker-Forschung, wie unsere Software-Entwicklung fmreli, die die Berechnung der Reliabilität von individuellen Aktivierungskarten vereinfacht.