ARD-Interview zum Behandlungspotenzial der Vagusnerv-Stimulation

Depressionen treten häufig auf und verlaufen in der Regel chronisch. Sie sind nach wie vor schwer wirksam zu behandeln und führen oft zu einer starken Beeinträchtigung. In Deutschland leidet etwa jeder Zehnte im Laufe des Lebens an einer Depression. Ein wesentliches Merkmal sind körperliche Symptome, wie Veränderungen im Appetit oder Verdauungsbeschwerden, die neben einem Verlust an Antrieb und Motivation besonders schwere Depressionen kennzeichnen.

Wie könnte man solche körperlichen oder motivationalen Symptome effektiver behandeln? Eine Idee, die in den letzten Jahren deutlich an Dynamik gewonnen hat, setzt bei der wesentlichen Verbindung zwischen dem Körper und dem Gehirn an: dem Vagusnerv. Dieser Hirnnerv dient als interne Datenautobahn und überträgt Signale zwischen den inneren Organen (z.B. dem Magen) und dem Gehirn. War man anfangs noch auf invasive Stimulationsgeräte angewiesen, gibt es inzwischen nicht-invasive Ansätze. Nun müssen die Geräte nicht erst bei therapie-resistenten Depressionen implantiert werden, sondern könnten bereits frühzeitiger und breiter zum Einsatz kommen.

Ein weiterer Vorteil der Vagusnerv-Stimulation liegt bei der Mobilisierung der Immunantwort des Körpers. Aus Tierstudien ist bekannt, dass eine Stimulation des Vagusnervs gegen Entzündungen helfen kann. Erste Ergebnisse dazu in kleinen Studien bei Menschen mit Entzündungserkrankungen sind ebenfalls ermutigend. So könnten in Zukunft vielleicht auch Erkrankungen behandelt werden, bei denen das Immunsystem gestört ist, wie beispielweise nach einer Erkrankung mit COVID (Long COVID).

Signale vom Körper an das Gehirn auf Knopfdruck

Um das Potenzial der Vagusnerv-Stimulation genauer zu erläutern, wurde Prof. Dr. Nils B. Kroemer als Leiter des neuroMADLABs im ARD-Magazin „Live nach Neun“ interviewt. Durch den nicht-invasiven Einsatz an der Schnittstelle zwischen Körper und Gehirn könnten sich ganz neue Behandlungsoptionen für verschiedene Erkrankungen ergeben. Aktuell wird die Vagusnerv-Stimulation neben der Behandlung von Depressionen auch bei Epilepsie und Migräne eingesetzt, aber es werden noch viele weitere mögliche Therapieansätze momentan in Studien getestet.

Die neuere Generation von Stimulationsgeräten ähnelt äußerlich einem MP3-Player. Über eine Ohrelektrode, die wie ein Kopfhörer getragen wird, setzen wir elektrische Impulse ein, um den am Ohr verlaufenden Ast des Vagusnervs gezielt zu stimulieren. Die Stimulationsstärke lässt sich wie mit Lautstärkeknöpfen individuell anpassen. Sie sollte für die meisten Anwendungen unter der Schmerzschwelle liegen, aber deutlich spürbar sein.

Ausschnitt aus dem Live-Interview mit Nils Kroemer von der Terrasse des WDR in der Kölner Innenstadt. Das Interview ist in voller Länge in der ARD-Mediathek abrufbar.

In unserer Arbeitsgruppe erforschen wir seit mehreren Jahren die Wirkweise der nicht-invasiven Vagusnerv-Stimulation, um gesicherte Erkenntnisse zu Auswirkungen auf das Verhalten und die Stimmung, sowie auf Signale des Gehirns und der Organsysteme zu gewinnen. Solche Studien können dabei helfen, das Verständnis und die Behandlung von verschiedenen psychischen Erkrankungen langfristig zu verbessern.

Was wissen wir bisher über die Wirkung der Vagusnerv-Stimulation?
Die nicht-invasive Stimulation des Vagusnervs ist eine recht neue Methode. Erste Nachweise, dass das Prinzip funktioniert und Veränderungen im Gehirn auslösen kann, gab es vor ca. 20 Jahren. Seit etwa 10 Jahre sind nun auch Geräte auf dem Markt, die für die Behandlung eingesetzt werden können.
Inzwischen weiß man bereits, dass der Einsatz der Stimulation allgemein sicher ist. Außerdem gibt es mehrere unabhängige Studien, die eine Aktivierung der Zielregion im Gehirn nach einer nicht-invasiven Stimulation des Vagusnervs gezeigt haben. Des Weiteren konnten Verbesserungen in der Motivation während der Stimulation und der Stimmung nach der Stimulation gezeigt werden. Auch als Behandlung für verschiedene Störungen konnten erste Erfolge in Pilotstudien berichtet werden, allerdings fehlen hier noch große klinische Studien, die einen klarer Nachweis der Wirksamkeit im Vergleich zu einer geeigneten Kontrollbedingung („Placebo“) zeigen.

Einsatz der nicht-invasiven Vagusnerv-Stimulation im Rahmen unserer Forschung.

Weitere Studien sind nötig, um einen flächendeckenden Einsatz der Vagusnerv-Stimulation zu ermöglichen

Um die klinische Forschung zur Vagusnerv-Stimulation weiter voranzutreiben, suchen wir nach Teilnehmenden für unsere Studien. Aktuell sind Studien mit Vagusnerv-Stimulation bei Patient*innen mit Depressionen oder Long Covid in der Vorbereitung. Außerdem suchen wir ebenfalls nach gesunden Teilnehmenden und Patient*innen für Studien zur Optimierung der Stimulation im Rahmen von Forschungsprojekten. Mehr Informationen finden Sie dazu auf den Seiten zu aktuellen Studien.

Anne Kühnel gewinnt Für das Neuromadlab den Publikationspreis der Fachgruppe Biologische Psychologie und Neuropsychologie

Im Rahmen der jährlichen Psychologie und Gehirn (PuG) Konferenz, die dieses Jahr in Freiburg stattfand, wurde ein hochdotierter Preis für unsere Arbeit verliehen. So ging der diesjährige Forschungspreis der Fachgruppe Biologische Psychologie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie an Anne Kühnel, die eine erfolgreiche Kollaboration mit dem Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München angeführt hatte.

Ausgezeichnet wurde unsere Arbeit zur Vorhersage von bestimmtem Stresszuständen sowie allgemeinen Risikofaktoren für affektive Störungen über dynamische Muster von Aktivierungs- und Konnektivitätsveränderungen im Gehirn unter Stress, die 2022 in Biological Psychiatry, eine der führenden Fachzeitschriften im Bereich der psychiatrischen Forschung, veröffentlicht wurde.

Anne Kühnel ist seit 2017 Doktorandin am MPI für Psychiatrie in München in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Elisabeth Binder. Sie forscht an den neuronalen, endokrinen und psychologischen Grundlagen von Stress mit dem Ziel, den Zusammenhang von akutem Stresserleben und psychischen Störungen besser zu verstehen.

neuroMADLAB gewinnt Publikationspreis der Fachgruppe Biologische Psychologie und Neuropsychologie

Im Rahmen der Psychologie und Gehirn (PuG) Konferenz, die dieses Jahr in Tübingen ausgerichtet wurde und online stattfinden musste, wurde ein hochdotierter Forschungspreis für unsere Arbeit verliehen. Monja Neuser gewann den 22. jährlichen Publikationspreis der Fachgruppe Biologische Psychologie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie 2021. Herzlichen Glückwunsch Monja und allen Beteiligten!

Ausgezeichnet wurde unsere Arbeit zu nicht-invasiver elektrischer Stimulation des Vagusnervs. In einer Stichprobe von 81 gesunden und hungrigen Studienteilnehmenden konnten wir zeigen, dass die Vagusnerv-Stimulation die Motivation erhöht, um für Belohnungen zu arbeiten. Diese Arbeit demonstrierte somit erstmals einen wichtigen Mechanismus der Verhaltenssteuerung beim Menschen, der zuvor bereit im Tiermodell dargelegt werden konnte. Die Veröffentlichung ist Teil einer Reihe von Arbeiten, die in den letzten Monaten aus unserem Projekt zu den Auswirkung der Vagusnerv-Stimulation am Ohr auf Motivation, Stimmung und Aktivität des Verdauungstrakts hervorgegangen ist.

Wir hoffen, dass wir mit der Veröffentlichung einen wichtiger Beitrag zum grundlegenden Verständnis von physiologischen Prozessen bei der Steuerung der Belohnungsverarbeitung liefern können. Folglich kann mit unseren Erkenntnissen der Einsatz der Vagusnerv-Stimulation möglicherweise in Zukunft im Bereich von Störungen der Motivation oder Regulation des Körpergewichts schnelle eine Unterstützung bieten.

Monja Neuser ist seit 2018 Doktorandin in der Arbeitsgruppe und forscht an den neuronalen und psychologischen Grundlagen von Belohnungsverhalten. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt im Bereich der Binge Eating Störung, bei der die Betroffenen unter einem Kontrollverlust ihres Essverhaltens leiden, der bisher kaum verstanden ist.

Die Arbeit wurde 2020 in Nature Communications veröffentlicht und ist hier abrufbar: https://www.nature.com/articles/s41467-020-17344-9

Zu viel oder zu wenig Belohnung durch Essen: Warum essen wir mehr als wir sollten?

Lesezeit ~5min

Viele Dinge im Leben sind einfach zu beschreiben – und doch umso schwieriger zu verstehen. Ein solcher offensichtlicher Fakt ist, dass wer mehr Kalorien konsumiert als er verbrennt, dadurch zunimmt. Über einen langen Zeitraum kann dies schließlich zu Übergewicht oder gar Fettleibigkeit (Adipositas) führen. Aber was verursacht den übermäßigen Konsum, der den rasanten Anstieg von Adipositas in den vergangenen Jahrzehnten anzutreiben scheint?

Intuitiv verlockt erst einmal die Annahme, dass man überisst, weil das Essen so gut schmeckt. Um die Ursachen dieser gesteigerten Lust zu erforschen, präsentiert man in wissenschaftlichen Studien Hinweisreize, die mit Essen assoziiert sind und verfolgt, wie das Gehirn diese Reize verarbeitet. Solche Hinweisreize reichen von Fotos von ansprechendem Essen bis hin zu einfachen geometrischen Formen, die die Verabreichung von Schoko-Milchshakes im Magnetresonanztomographen ankündigen. Viele Studien haben eine gesteigerte Gehirnantwort auf solche essensbezogenen Hinweisreize in den „Belohnungszentren“ bei übergewichtigen und adipösen Personen beobachtet. Dies wurde dann als ein gesteigertes Verlangen interpretiert, das durch die Aussicht auf Essen ausgelöst wird. „Zu viel oder zu wenig Belohnung durch Essen: Warum essen wir mehr als wir sollten?“ weiterlesen

DAAD RISE: Willkommen, Naria!

Es ist uns eine Freude, ein neues Mitglied des NeuroMADLABs vorstellen zu dürfen: Eine Studentin, gefördert durch das DAAD RISE (Research in Science and Engineering) wurde erfolgreich in unserer Arbeitsgruppe platziert.

Naria Quazi ist Bachelorstudentin an der University of California, Berkeley. Durch ihr Studium in Neurobiologie und Psychologie, hat Naria eine Faszination dafür entwickelt, wie das Gehirn auf molekularer und Verhaltensebene funktioniert. Sie wird unserTeam für den Sommer 2018 unterstützen.